9 Trauerrituale, die mir geholfen haben, weiter-zugehen

9 Trauerrituale, die mir geholfen haben, weiterzugehen

In diesem Artikel geht es um persönliche Trauerrituale, die mich seit 30 Jahren begleiten. Ohne Muss, ohne Anleitung. Nur Erfahrungen.

Wenn jemand stirbt, funktioniert man erst einmal. Beerdigung organisieren, Blumen aussuchen, Karten drucken, Behörden informieren, vielleicht noch einen Leichenschmaus planen. Ein absurdes Abhaken von To-dos. Viele klappen danach zusammen, weil erst dann klar wird, was wirklich passiert ist.

Aber was passiert nach diesem organisatorischen Ausnahmezustand?
Wie erinnern wir uns im Alltag an die Menschen, die wir verloren haben?

Was Rituale in der Trauer für mich bedeuten

Ein Ritual wird oft definiert als „formelle Handlung mit hohem symbolischen Gehalt“.
Trauer hält sich aber selten an Regeln. Was bleibt, ist der symbolische Teil: eine kleine Handlung, die die Vergangenheit in das Jetzt holt.

Für mich sind Trauerrituale kein Versprechen, dass etwas leichter wird. Sie sind eher ein Ort, an dem ich meine Trauer ablegen oder wieder aufnehmen kann. Ein Baby Step, ein Tränchen, ein Atemzug.
Und manchmal auch ein bisschen Magie.

Trauer bleibt. Ein Leben lang — nur anders.
Und jede*r trauert im eigenen Tempo. Das ist völlig okay.

Meine persönlichen Trauerrituale

Mein neuestes Trauerritual: Mit den Verstorbenen sprechen

Ich spreche laut mit meinem Vater.

Manchmal ist es nur ein „Hallo?“, manchmal erzähle ich ihm, was in meinem Leben los ist. Es fühlt sich an wie eine Sprachnachricht in die Stille. Ohne Antwort, aber mit Wirkung. Für mich.

Ich mache das an Orten, wo mich niemand hört: zu Hause, im parkenden Auto, manchmal auf einer abgeschlossenen Toilette.

Das laute Aussprechen hilft mir, Gedanken aus dem Kopf zu bekommen. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass mein Vater mir jetzt wirklich zuhört – anders als zu Lebzeiten.

Einen festen Ort schaffen

In meinem Wohnzimmer, zwischen meinen Lieblingsbüchern, stehen Bilder meiner Mutter, meiner Oma und meines Vaters – hinter einer Tür, die ich selbst öffnen kann, wenn ich möchte.

Von meinem Vater habe ich eine alte Standuhr geerbt. Kitschig, aber sie hat ein pinkes Regal bekommen, so wie meine Lieblingsfarbe. An seinem Todestag stelle ich eine Blume dazu. Dieser Platz verbindet mein Früher und mein Heute.

Früher hatte ich überall Fotos stehen. Irgendwann wurde es zu viel. Heute tut mir ein bewusst gestalteter Ort besser, weil ich selbst bestimmen kann, wann ich Kontakt möchte.

Eine Kerze anzünden

Im Herbst und Winter brennen bei mir fast jeden Abend Kerzen. Der Tanz der Schatten fühlt sich an, als wäre ich weniger allein.

Wenn ich besonders an meine Oma denke, zünde ich eine Bienenwachskerze an. Ihr Geruch bringt mich zurück in unsere Kartenspiel-Sonntage.
Ich mag besonders Dip-Dye-Kerzen – der Farbverlauf erinnert mich daran, dass Gefühle gleichzeitig existieren dürfen.

In jedem Land, das ich bereise, zünde ich auch eine Kerze in einer Kirche an. Nicht aus Glauben, sondern aus Respekt. Ohne meine Ahnen gäbe es mich nicht.

Weinen (oder auch nicht)

Weinen ist mein “Go-to”-Trauerritual, wenn es zu viel wird.
Ob versteckt hinter meiner Sonnenbrille, auf der Couch, am Boden liegend, im Bett – und dann: Salzwasser.
Die Schriftstellerin Karen Blixen sagte:


„Die Lösung für alles ist Salzwasser. Schweiß, Tränen oder Meer.“

Und ja, danach fühle ich mich ein bisschen freier. Manchmal nur ein Mü.

Aber Weinen ist kein Muss.

Als mir mein Rad geklaut wurde, habe ich erst eine Woche später geweint. Der Schmerz brauchte Zeit. Denn ja:

Spazierengehen

Wenn die Trauer laut wird, gehe ich in den Wald. Dem Wald ist es egal, wie ich aussehe, ob ich erfolgreich bin oder nicht, ob ich traurig oder wütend bin. Er ist einfach da.

Mein eigenes Tempo beim Gehen beruhigt mich.

Und Schritt für Schritt zu gehen, ist symbolisch für den Trauerprozess. Die Jahreszeiten erinnern mich daran, dass das Leben ein Kreislauf ist und dass der Tod ein Teil davon ist.

Zum Grab gehen

In unserer Gesellschaft ist das Trauerritual Nummer 1: Zum Grab gehen. Ich gehe selten zu dem Grab meiner Eltern, weil ich sie dort nicht spüre.

Sie leben in meinen Erinnerungen weiter, in meinen Geschichten.

Wenn ich hingehe, dann wie ein kurzer Anruf: vor einer Reise, oder zu Weihnachten.

Einen Gegenstand bei sich tragen

Meine Mutter und Oma haben auf ihren Reisen immer Schmuckstücke mitgebracht. Viele lagen jahrzehntelang in einer Schublade. Einige habe ich später in Geldnot verkauft, um mir ein Ticket nach Bali zu kaufen. Ein paar Ringe und vor allem eine Kette meiner Mutter habe ich behalten.

Diese Kette trug ich auf all meine Reisen mit meiner Trauer. Zwei kleine Anhänger hängen an der Kette: das blaue Auge für Schutz und eine Perle von einem kleinen goldenen Kranz umrandet. Meine persönliche Bedeutung dahinter ist, dass meine Mutter immer ”ein Auge auf mich hat” und dass die Perle mein Steuerrad über mein Leben ist. 

Von meinem Vater habe ich einen silbernen Christophorus-Schlüssel Anhänger geerbt. Fast hätte ich ihn verloren. Jetzt trage ich ihn zusammen mit einem neuen Anhänger.

Wenn der Schmerz groß ist, reibe ich über die raue Oberfläche.
Wenn er klein ist, bedanke ich mich.

Beides ist Kontakt.

Ein alltägliches Ritual: Die Khaki-Schüssel

Mein Papa hatte im Herbst immer eine Schüssel mit Khakis auf der Anrichte.
Nichts Besonderes. Einfach nur Khakis. Aber sie lagenn da. Jedes Jahr. Immer zur selben Zeit.

Und dann – letzte Woche – stehe ich im Supermarkt …
… und sehe diese eine Frucht.

Und plötzlich war er wieder da.
Nur für einen Moment.
Und mir liefen die Tränen runter. Einfach so. Zwischen Joghurt und Zwiebeln.

Ich hab die Schüssel jetzt bei mir.
Und ich fülle sie mit Khakis.

Weil Trauer manchmal genau so aussieht:
still.
unauffällig.
aber lebendig.

Schreiben als Trauerritual

Während der Pandemie bin ich mit 40 zum ersten Mal in meine eigene Wohnung gezogen und habe „The Artist’s Way“ von Julia Cameron durchgearbeitet. Eine Übung daraus ist, jeden Tag zu schreiben. Am besten morgens. Alles, was in den Sinn kommt.

Ich habe damit angefangen — und bis heute nicht aufgehört.

Schreiben hilft mir, mich selbst zu reflektieren, Erlebtes festzuhalten und vor allem: das Unausgesprochene auszusprechen.

Gerade in meiner Trauer war das wichtig. Ich hatte ja 20 Jahre nichts gefühlt, nichts gesagt.
So viele offene Geschichten haben durchs Schreiben endlich einen Platz gefunden. Eine Form von closure.

Auch heute schreibe ich jeden Morgen.
Es ist wie ein täglicher Check-in mit einer besten Freundin, die nur zuhört.
Die Freundin ist das leere Papier.
Und der Stift bin ich.

Warum Trauerrituale wirken
(mein persönliches Warum)

Trauerrituale sind für mich kein Werkzeug, das etwas repariert.

Sie sind eher:

  • ein innerer Anker, wenn alles wackelt
  • ein Stück Kontrolle, wenn nichts kontrollierbar ist
  • eine kleine Brücke, die Vergangenheit und Gegenwart verbindet
  • ein Ort für Gefühle, die sonst keinen Platz finden

Sie verändern nicht die Trauer.

Aber sie verändern, wie sie in mein Leben passt.

Ich danke DIR, dass du bis hierhin gelesen hast.
Vielleicht magst du auch deine persönlichen Trauerrituale in den Kommentaren mit mir teilen? 

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