Wie trauert man um etwas, das „eigentlich“ hätte weitergehen können?
Ich schlafe zurzeit nicht besonders gut. Gegen zwei Uhr nachts kriecht meine Trauer in mein Bett.
Schwer sinkt die Matratze neben mir ein, noch schwerer legt sich ihr Arm über mich.
Ich bekomme keine Luft.
Oder ist es nur die Sommerhitze, die durchs Fenster weht und selbst nachts kaum abkühlt?
Ist es wieder so weit? frage ich mich und zupfe den Bettbezug über meine Beine.
Meine Trauer – diese olle Diebin! – hat sich ihn einfach geklaut.
Ist sie es wirklich? Oder träume ich nur?
Oder lebe ich doch wieder mit Geistern zusammen?
„Das hatten wir doch alles schon!“, schreie ich sie – oder die Geister – innerlich an.
Neben mir seufzt es leise.
Wie immer will sie etwas von mir.
Sie möchte, dass ich ins fühlen komme.
Raus aus dem „Hätte ich doch…“ und „Was wäre, wenn ich doch noch…“
„Plopp.“
Jetzt schnarcht sie auch noch.
Ich ziehe die Decke endgültig zu mir.
Kühl gleitet sie über meine Brust.
Ein Hauch frischer Luft dringt von draußen herein.
Ich weiß längst, warum sie wieder hier ist.
Ich habe eine Verbindung beendet, die nicht gut für mich war.
Normalerweise werde ich verlassen – diesmal habe ich mich ent-lassen.
Da knallt meine Schlafzimmertür gegen den Kleiderschrank.
Auftritt: mein Leben.
Dezent wie immer.
Im gelblichen Licht, das von der Straßenlaterne durch die Jalousie fällt, erkenne ich das bunte Batikshirt meines Lebens.
Ohne Brille und mit meiner Kurzsichtigkeit verschwimmen die Farben noch mehr.
Mein Leben hat seine Konturen verloren.
Ich trauere um eine feste Struktur.
Ich trauere um Verbindungen, die vielleicht zu Freundschaften geworden wären.
Ich trauere um einen Ort, an dem ich jeden Morgen erscheinen musste.
Ich trauere um einen Ort, weit weg von meiner Trauer – einen Ort, an dem ich eine andere Version von mir sein konnte:
Jemand, der sich klein macht.
Jemand, der sich anpasst, bis er nicht mehr ich ist.
Jemand, der sich übermäßig sorgt um den Fortbestand einer Verbindung.
Jemand, der nicht mehr den Mund halten konnte.
Jemand, der Verbesserungsvorschläge machte, um Unrecht geradezubiegen.
Ich seufze und drehe mich um.
Nase an Nase liege ich nun mit meiner Trauer.
Ein leichter Geruch nach Mottenkugeln steigt mir in die Nase. Igh!
Doch ich wende mich nicht ab.
Der Geruch erinnert mich an all die alten Beziehungsmuster, die ich aus dem Keller meiner Seele hervorgeholt – und gelebt – habe.
Es raschelt neben mir.
Hat mein Leben sich gerade auf die letzte, leere Taschentücherpackung gesetzt, die von meiner Sommergrippe übrig ist?
Ich öffne ein Auge.
„Jetzt, wo ich deine Aufmerksamkeit habe…“, sagt mein Leben sanft und nimmt meine Hand.
„Hey Irene – du bist keine 16 mehr.“
Es drückt meine Hand ein wenig fester.
„Lass mich mal machen.“
Ein kühler Windhauch weht ins Zimmer.
Vielleicht ist es die Leichtigkeit, die sich in den Monolog meines Lebens schleicht.
Endlich, endlich schlafe ich ein.
