Ich hätte mir einen Hollywood-Abschied gewünscht

„Was hättest du dir für einen Abschied von deinem Papa gewünscht?“

Die mega liebe Trauerbegleiterin in der Online-Gruppe von @vergissmeinnicht sieht mich liebevoll lächelnd aus ihrer Zoom-Kachel an.

Ich muss kurz innehalten, mich sammeln, nachdenken. Die Geschichten der anderen Frauen haben mich tief berührt – so einen ehrlichen, echten Austausch erlebe ich selten.

Nach einem tiefen Atemzug antworte ich lachend, weil die Antwort so typisch für mich ist – und weinend, weil sie so unrealistisch ist:
„Ich hätte gerne einen Hollywood-Abschied von meinem Vater gehabt.“

Überrascht fragt die Trauerbegleiterin nach:
„Was meinst du damit?“
Ich antworte:
„Ich hätte gerne gewusst, dass es das letzte Mal ist, dass ich meinen Papa sehe. Ich hätte ihm gerne gesagt, dass ich ihn lieb habe – und dass er in meinen Augen als Vater vieles falsch gemacht hat. Ich hätte gerne weiße Tauben fliegen lassen. Ich hätte einfach noch einmal mit ihm gesprochen. Ihm meine Sicht auf seine Erziehung erzählt. Und ich hätte gerne von ihm gehört, dass er stolz auf mich ist.“

Schnell schalte ich mich stumm, um mir – dank Sommergrippe ohnehin verstopft – die Nase zu putzen.

So viel wie in diesem Zoom-Call habe ich noch nie vor anderen geweint. Ich kann meine Trauer fühlen, wie sie mit mir am Tisch sitzt. Dieses Mal ist sie allerdings ganz still – und ich rede. Beziehungsweise: ich male.

Ein Kreis auf einem Blatt Papier, aufgeteilt in verschiedenfarbige Tortenstücke, zeigt mir den aktuellen Stand meiner Gefühle. Die Parallelitäten meiner Gefühlswelt so deutlich vor mir zu sehen, fühlt sich gut an. Klar. Wie eine Bestandsaufnahme. Ein kleines Foto meiner Innenwelt, das ich immer mit mir herumtrage – und nur selten jemandem zeige.

Die Wut ist groß – auf meinen Vater, weil so vieles zwischen uns ungesagt blieb.
Der Stolz ist da – dass meine Brüder und ich die Formalitäten rund um Papas Beerdigung gut und friedlich geregelt haben.
Erleichterung – weil uns Themen wie Pflegedienst und Altersheim erspart geblieben sind. Und weil Papa so gestorben ist, wie er es sich immer gewünscht hatte: in seinem Haus, in seinem Bett.
Der Schmerz, die Trauer – sie haben auch ihren Platz.
Und das Gefühl der Leere ist ebenfalls da.

Wenn ein Elternteil stirbt, ist das immer auch das Ende der eigenen Kindheit.
Diesen Satz notiere ich mir gleich zu Beginn des Calls.
Ich ergänze ihn: Auch eine mögliche Zukunft stirbt – und ein großer Teil meiner Vergangenheit, meiner Herkunft.

Wer bin ich ohne meinen Vater?
Womit fülle ich die Leere, die in mir zurückbleibt?
Muss ich sie überhaupt füllen – oder darf sie einfach leer bleiben?

Mit diesen Fragen im Kopf klappe ich den Laptop zu.
Zurück bleibt das Gefühl, dass ich – und meine Trauer – in dieser Gruppe gut aufgehoben sind.
Ein neues, schönes, tröstliches Gefühl.
Eines, das ich jahrzehntelang nicht kannte.

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