Die Woche vor der Beerdigung
Am Freitag vor der Beerdigung fängt „es“ an.
In meinem Gehirn befinden sich nur noch Wattebäuschchen. Aber nicht die fluffigen weißen, die ich mit Wolken assoziiere, sondern in grauen Schlamm getauchte Wattebäuschchen, die mir das Denken erschweren.
Mein Leben im Außen läuft weiter: zur Arbeit gehen, im Bootcamp schwitzen, meine Serien, Filme gucken.
Auf eins konzentrieren kann ich mich nicht, meine Gedanken springen hin und her:
Ich will da nicht hin.
Ich kann da nicht hin.
Ich muss da hin.
Eine Endlosschleife.
Irgendwann beginne ich mich zu fragen, woran ich „glaube“.
Ich bin nicht getauft.
Die griechisch-orthodoxen Taufen, die meine Brüder hatten, erschienen meiner Mutter, für mich zu brutal. Die Familien Mär geht so, dass meine Brüder kopfüber in das Tauchbecken getaucht wurden und sich mit erbärmlichen Schreien dagegen gewehrt haben, was meiner Mutter jedes Mal das Herz zerriss.
Ob das wirklich so der griechischen Sitte entspricht? Ich weiß es nicht.
Ich sollte selber später über meine Religion entscheiden – meinte meine Mutter.
In der Grundschule bis ins Gymnasium war ich im katholischen Religionsunterricht.
Ich habe mich eigentlich immer nur gefürchtet, vor dem weißen Mann auf einer Wolke, der mich bei a l l e m was ich tue beobachtet. Später im Gymnasium durfte ich dann endlich in Ethik gehen. Dort schauten wir Filme und ich liebte es – natürlich.
Das Konzept des Himmels und der Hölle ist dann aber natürlich doch an mir hängen geblieben. Zu eindrucksvoll waren die Bilder der rot flammenden Unterwelt der Hölle in meiner Kinderbibel, in der die Bösewichter für den Rest ihres Lebens nach dem Tod schmoren müssen. Da wirkte der Himmel dagegen schon verlockender, ein blau-weißes Paradies mit frohlockenden Engeln und nun ja – Gott. Der weiße Mann mit dem Rauschebart eben. Unser Vater im Himmel.
Ob m e i n Vater nun im Himmel oder in der Hölle ist?
Ich weiß es nicht.
Ich stelle mir folgende Fragen:
Glaube ich an das Jenseits?
Wenn ja, wie soll das aussehen?
So fantasievoll ich mir Geschichten ausdenken kann, stoppt hier etwas in mir.
Am Bett meines Vaters, als er schon tot war, habe ich genau gespürt, dass er „nicht mehr da“ war. Das, was da vor mir lag, war nur noch sein Körper. Es hat sich so friedlich angefühlt. Ein Gefühl, was ich nicht mit der Seele meines Vaters in Verbindung bringe, er war – Zeit seines Lebens- eher von der unruhigen Sorte.
An seinem Bett brannten zwei Kerzen.
Waren das die Seelen meiner Mutter und meines Vaters?
Es fühlt sich auch nicht so an, als wäre mein Vater tot.
Natürlich weiß ich, dass er gestorben ist. Mein Gehirn hat diese Information durchaus begriffen. Aber, ich glaube, meine Seele einfach noch nicht. Es braucht Zeit, bis der Tod meines Vaters ganz zu begreifen ist.
Unser Kontakt über letzten 4 Jahre schwankte von kalt zu lauwarm. In Person sah ich ihn nur selten. Mein Gehirn liebt es sich vorzustellen, dass er weiterhin morgens erstmal die Kaffeemaschine anstellt und seinen geliebten Dallmayr Prodomo kaffe macht. Der Duft von frischem Kaffee steigt mir dabei in die Nase und errinert mich an friedliche Sonntage in meiner Kindheit.
Und, wer weiß? Vielleicht macht er sich ja auch immer noch als erstes einen Kaffe am Morgen?
Ich kann es einfach nicht mehr sehen.
Vielleicht trennt meine Welt und seine Welt jetzt einfach eine unsichtbare Wand und sein „Leben nach dem Leben“ beginnt jetzt nochmal neu. Mit Menschen, die schon vor ihm die letzte Reise angetreten haben?