Sport ist gut
“Heute ist wieder Bootcamp!”
Mein Leben hüpft neben mir auf und ab. Dabei boxt es gegen einen unsichtbaren Gegner.
“Ich mag nicht.” maule ich. Ein Tag im Home Office und ich bin total faul geworden.
“Sport! Ist! Gut!” Mein Leben macht ein paar Liegestützen. Dass es ihm leichter fällt als mir, lass ich einfach unkommentiert.
“Ich war bis gestern noch krank.” Ich lasse mich auf meine Couch plumpsen und klappe meinen Laptop auf. Die neuesten Folgen von Love is Blind USA müssten doch heute online gehen…
“Nichts da!” Mit einem Schwung klappt mein Leben den Laptop wieder zu und joggt in mein Schlafzimmer, zu meinem Kleiderschrank. Mein Leben singt das Lied “It’s the final countdown!”. Ins Wohnzimmer fliegen: mein Sport BH, eine andere Jogginghose, als die, die ich seit heute morgen trage, mein Sport T-Shirt und meine geliebte lila Softshell Jacke.
“Auf geht’s!” Mein Leben macht ein paar Ausfallschritte. Erst jetzt fällt mir das Outfit meines Lebens auf: es trägt eine Frottee-Shorts in quietschgelb, darunter eine hellblaue Leggins. Das ganze ziert eine hellblaue Windjacke und stechend grüne Arm- und Stirnbänder und Leggings. Eine pink-schwarz gestreifte Bauchtasche hüpft bei den Ausfallschritten hoch und runter.
Mein Leben macht einen auf 80er!
Ich muss so lachen, dass ich meine Unlust plötzlich vergesse und mir meine, gegen das Outfit von meinem Leben, zugegebener Maßen eher langweiligen Sport Klamotten anziehe. “Los geht’s!” sage ich jetzt, schnappe mir meine Wasserflasche, Hausschlüssel und eine dickere Jacke. Die Zeiten von Shorts und T-Shirt am Abend sind vorbei. Mein Leben springt noch schnell in meinen Fahrradkorb und schon sausen wir in Richtung Treffpunkt vom Bootcamp.
In der Zeit, als ich mein Buch schrieb, waren die Frauen aus dem Bootcamp, die einzigen “Fremden”, die ich unter der Woche sah. Einmal in der Woche auspowern, war jedes Mal wieder anstrengend, aber mittlerweile möchte ich es nicht mehr missen. Es ist wie eine Frischluftkur für mein ganzes System: mein Geist wird frei, ich habe das Gefühl, ich kann wieder atmen und ein bisschen Kondition habe ich in einem Jahr auch schon aufbauen können. Muskeln? Sehe ich keine.
“Ich habe einen Gast mitgebracht! Mein Leben!” sage ich in die kleine Runde, die wie ich und mein Leben 10 Minuten zu früh zum Training erschienen ist. Bei der Buchung des Bootcamps war es mir wichtig, dass ich den Ort für das Training innerhalb kürzester Zeit zu Fuß oder mit dem Rad erreichen kann. Ich kenne mich einfach zu gut, würde das in der Innenstadt von München stattfinden oder auch nur eine U-Bahn Station entfernt, ich würde sehr oft schwänzen.
“Hey, cooles Outfit! Ich bin Verena.” Die Bootcamp Trainerin und mein Leben beäugen sich skeptisch und dann fangen beide an zu grinsen. Mein Leben verwickelt Verena in ein, wie ich annehme, Fachgespräche zur richtigen Kleidung zum trainieren.
Eine andere Teilnehmerin stößt zu uns und nach einem kurzen Hallo, platzt es aus ihr heraus: “Sucht vielleicht jemand von Euch eine 2 Zimmer Wohnung in Großhadern?”
Mir schießen spontan die Tränen in die Augen und ich hebe nur wortlos die Hand.
“Ja? Cool! Ich ziehe nämlich mit meinem Freund zusammen und meine Wohnung wird frei.”
Mein Leben zwinkert mir verschmitzt zu und formt mit seinen Lippen den Satz: “Sport! Ist! Gut!”