Auszug aus einer Therapiestunde

Ich erzähle meiner Therapeutin von den vergangenen Wochen, die mit positiven Nachrichten gefüllt waren. Über den Bildschirm, ausnahmsweise findet die Therapiestunde online statt, sehe ich, wie ihre Augen zu leuchten beginnen. Ein breites Grinsen breitet sich über ihr Gesicht aus. 

Ich erzähle weiter und in mir steigt eine Traurigkeit auf, die ich die letzten Wochen verdrängt habe. “Es kann doch nicht sein, dass mein Leben so einfach ist.” Die ersten Tränen kullern über meine Wangen. Meine Nase ist sowieso schon dicht von der Erkältung, die ich mir am letzten Sommertag am See zugezogen habe und jetzt bekomme ich keine Luft mehr. Rotz vom Weinen und Rotz vom Schleim sind keine gute Kombi. Ich krame ein Taschentuch aus meiner Jogginghose, die ich seit einer Woche nicht ausgezogen habe, mute mich und schnäuze mich einmal gründlich.

“Was passiert da gerade mit dir?” fragt mich die Therapeutin sanft. “Ich werde traurig.” antworte ich. “Ich kenne das nicht, diese Leichtigkeit. Diese Freude.” Meine Therapeutin lässt mich noch ein bisschen weinen. “Ich spüre da so einen richtigen Widerstand in mir.” Ich fahre fort. “Ich kann das alles…” Damit meine ich das positive der letzten Wochen “… doch nicht einfach annehmen. Oder…?” 

Meine Therapeutin schweigt und schließt die Augen. Meine Therapeutin öffnet die Augen: “Kann es sein, dass du dich schuldig fühlst? Wegen deiner Mutter?”

Manchmal gibt es Fragen, auf die ich vom Kopf her keine Antworten habe. Keine Wörter kommen in diesen Situationen in mein Gehirn. Ich spüre die Antwort eher aus meinem Bauch heraus: Ja. Ich fühle mich schuldig.

“Glaubst du nicht, dass deine Mutter gewollt hätte, dass du glücklich bist?” 

Da ist sie wieder die Frage, die schon so lange in mir lebt. Ich weiß nicht, wie oft ich über diese schon nachgedacht habe, sie mir aufgeschrieben habe. Immer und immer wieder. Und jedes Mal, so auch jetzt, berührt sie mich so tief, dass ich als Antwort nur unter Tränen antworten kann: “Ich glaube…” Ein Schluchzer zerreißt mich und ich muss erstmal wieder atmen. “Ich glaube, meine Mutter wünscht mir alles Glück dieser Welt.” 

Ich weiß nicht, woher ich diese Antwort nehme. Auch sie kommt nicht aus meinem Kopf. Ich spüre sie einfach. In meinem Herzen. 

Am Ende der Therapiestunde macht meine Therapeutin mir noch ein Angebot: “Kannst du dir vorstellen, dir jeden Tag aufzuschreiben, wenn dir etwas Gutes passiert?” 

Ich sehe mich schon ein neues Notizbuch kaufen, einen neuen schicken Stift und … verwerfe den Gedanken gleich wieder. Ich kenne mich. Je komplizierter und aufwendiger ich es mir mache, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich diese “Hausaufgabe” wirklich mache. Dann also Notizen im Handy. Titel: ”Freudetagebuch” 

“Schreib auf, wie du dich gefühlt hast. Also z.B. das und das war und ich habe mich nicht so … gefühlt.”

“Wie fühlst du dich jetzt?” Die klassische Abschluss Frage einer Therapiestunde. 

“Leichter.” antworte ich. 

“Wo in deinem Körper fühlst, spürst du das?” 

Ich schließe kurz die Augen: “Meine Schultern fühlen sich leichter an. Ich habe nicht mehr so einen Druck in der Brust. Ich fühle mich viel klarer und irgendwie leichter ums Herz.” 

“Schön!” Freut sich meine Therapeutin für mich. “Wollen wir den nächsten Termin ausmachen?”

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