Zwischen Trauer, Magie und Alltagsrealität: mein persönlicher Weg des Schreibens
Ein langes Wochenende – juchu!!! Eingeläutet mit dem für mich schönsten Feierabend: im Hofgarten Sushi Essen. Gut, die Wiese ist noch ein bisschen nass von dem Regen am Abend vorher, der ausnahmsweise die drückende Hitze dieses Augusts unterbricht. Ich ruckle meinen Hintern noch ein bisschen auf der Papiertüte hin und her, in der ich das Sushi von meinem Lieblings Take Away geholt habe und beiße dann genüßlich in den ersten Happen.
Mein Blick gleitet in meinen Rucksack, aus dem mir ein neues Buch entgegenwirkt. Ich war davor im Hugendubel – für mich DER Laden. Da können Gucci, Prada einpacken. Lesen ist sexy. Bücher sind sexy. Das Kopfkino, das beim Lesen losgeht ist für mich überlebenswichtig geworden.
Ich tunke ein weiteres Sushi Stück in das Soja-Soßen/Wasabi Gemisch und mir fällt ein, dass ich ja selber auch ein Buch geschrieben habe.
Drei Monate und zwei Jahre habe ich es geschrieben. Umgeschrieben. Aufgehört. Wieder neu angefangen. Ich habe einfach immer weiter geschrieben. Habe mich den Geschichten, die ich erzählen wollte, auf Zehenspitzen genähert. Es war, wie ein Flasche Wein zu entkorken und diese bis auf den letzten Tropfen auszutrinken. Nur dass es in meinem Buch um mein tiefstes Trauma – den Verlust meiner Mutter geht.
In meinem Lieblings Buchladen, dem Hugendubel, ist die Ratgeber Ecke über die letzten Jahre extrem gewachsen. Ich weiß noch vor zwanzig Jahren, war das nur ein Regal, jetzt sind es viele, viele Meter an Regalen. Keiner schämt sich mehr, dort zu stehen. Die Themen Glück, Trauma, erfülltes Leben reihen sich stolz aneinander, so als würden sie verführerisch flüstern: Lies mich. Lies mich und es wird alles gut.
In der Ratgeber Ecke gibt es in jeder Filiale ein kleines Abteil zum Thema Trauer/Tod. Die meisten Bücher, die dort stehen sind mir bekannt oder ich habe sie bereits gelesen. Nur eines fehlt dort noch: meins.
3 Coachings zum Thema “Wie werde ich als Autorin zur Marke”
1 Coaching zum Thema “Wie schreibe ich ein Buch”
10 unbeantwortete Bewerbungen bei Verlagen und Literaturagenturen später, bin ich ernüchtert.
Es ist wie, wenn der Ex, der sich von dir trennt, weil er eine Neue hat und du dich frägst: was hat die was ich nicht habe? Was “haben“ all diese Autoren:innen, die publiziert im Regal stehen, was ich nicht habe? Mehr Geduld, mehr Glück, mehr – soll ich es wirklich zu Ende denken – T A L E N T?
Vielleicht ist der Erfolg als Autorin ebenfalls etwas Individuelles?
Vielleicht ging es beim Schreiben meines Buches einfach ums SCHREIBEN?
In den drei Monaten in denen ich täglich schrieb, flossen die Geschichten nur so aus mir heraus. So als “wäre es einfach gerade dran.”
Meine Freundin Vera nennt mich manchmal “Tiefseetaucherin”. Sie meint damit, dass ich zu tief in meine inneren Themen einsteige und mich dann im Zerdenken in diesen verliere. Denken und schreiben funktioniert bei mir nicht. Es ist irgendwie ein unheimlicher Prozess, wenn ich tippe. Die Wörter fließen aus mir – in die Tasten und daraus entstehen Geschichten.
Während ich mein Buch schrieb, tauchte ich tief hinab. Bis an den Meeresgrund meiner Erinnerungen: Meine Trauer führt mich im Buch und im echten Leben nach Bali, zu meiner depressiven Episode mit Selbstmord Gedanken und in eine Zeit in der ich von einem spirituellen Guru abhängig war. Ich wollte nicht, dass die Trauer bei mir einzieht und als Dauergast auf meiner Couch nächtigt. Ich wollte sie eigentlich immer nur “weg” haben. Dass sie mir am Ende ein Freund werden würde – beim Schreiben und im echten Leben, wusste ich damals nicht.
So seltsam es sich vielleicht anhören mag, aber meine Trauer brachte die Magie zurück in mein Leben. Es passierten seltsame Dinge, während ich schrieb: ich schrieb über einen goldenen Füller in meinem Buch, der mir das Leben rettete – beim Spazieren gehen im echten Leben fand ich einen Kugelschreiber. Ich schrieb über das rote Paar Adidas Sneaker, das ich an dem Tag als meine Brüder und ich vergebens durch Krankenhaus Gänge hetzen und im echten Leben gingen meine Nike Sneakers kaputt.
Mysteriöse “Zufälle” oder die “Road Magic” von der meine Freundin von ihren Radreisen mir erzählt hatte? Julia Cameron beschreibt diese “Zufälle” in ihrem Buch “The Artist Way” als „Synchronizitäten“, die dem “Künstler in dir” nun mal passieren, wenn er/sie/they die Kunst auslebt, die durch ihn geboren werden will. Denn ja, manchmal fühle ich mich als Mutter meines Buches – mit der längsten Geburt.
“Für die Schublade schreiben” ist ein beliebtes Schreckgespenst unter Autoren:innen. Da meine Trauer und ich schon genug Schrecken gemeinsam erlebt haben, gönne ich dem Buch “Gespräche mit meiner Trauer” einen Ehrenplatz im Regal. Gebunden im Copyshop in meinem Viertel. Für jetzt.
Der große Traum: mein Buch im Hugendubel in eben jenem Ratgeber Regal besuchen zu können, brannte lange in mir. Der Brand hat sich auf eine kleine Flamme reduziert. Die Realität ist nun mal die: ein Kühlschrank füllt sich nicht von alleine, eine Miete muss gezahlt werden und noch die ganzen anderen kleinen Unannehmlichkeiten und Annehmlichkeiten eines Lebens, die kosten. Die Flamme glimmt noch in der Asche. Durch das Schreiben meines Blogs versuche ich sie am Leben zu halten, mich im Schreiben zu üben, weiter zu machen, dran bleiben – bis… .
Mein Leben liefert mir den Stoff gerade für alle Geschichten, die hier auf dem Blog entstehen. Selbst wenn ich diese einem Verlag anbieten würde, so kann ich ihm pitch text nicht sagen, wie es ausgeht oder was ich erreichen werden. Sicher ich habe meine zwei ziele für dieses jahr: ein job – check und eine neune wohung – un-check. Mein neuer Traum ist ein eigenständiges Leben zu führen. Er ist zum greifen nahe. Der neue Job, der nach drei Monaten nicht mehr ganz so glänzt, hilft schon mal. Nur noch die aktuelle Wohnung muss weg und eine günstigere her. Viel, viel günstiger.
In den Nächten als ich immer und immer wieder panisch meinen Kontostand checkte und diverse Möglichkeiten durchspielte, wie ich die aktuelle Wohnung halten kann folgte eine Panik Attacke der nächsten. Ich schwor mir mich n i e w i e d e r in eine solche finanzielle Schieflage zu begeben! Am Ende findet diese nur in meinem Kopf statt. So oft ich meinen Kontostand checkte, so oft zeigte er mir die gleichen Zahlen, die ja weniger wurden, aber zu keiner Zeit war ich wirklich existenziell bedroht – alles nur Kopfkino und Drama.
Die Vernunft, dieser langweilige Geselle, hat sich nun meinen Geldbeutel und die Passwörter für mein Geld geschnappt und waltet nun streng über jeden Ein- und Ausgang. Selbst beim Urlaub buchen, sieht sie mir streng über die Schulter und sagt: Es geht nur eine Woche – Irene. Ich zeige ihr einen Vogel und buche meine Unterkunft für 1,5 Wochen. Sie verdreht die Augen und schnalzt mit der Zunge. Ob die Vernunft mich noch mal besuchen kommt? Bestimmt.
„Hmm.“ Neben mir räuspert sich mein Leben und guckt auf seine Uhr. „Hast du nicht was vergessen?“
Shit! Mein Buchclub! Hastig packe ich meine leer gefutterten Sushi Verpackungen in meine Sitztüte und eile in Richtung lieber, neuer Menschen in meinem Leben, denen das Lesen genau so große Freude bereitet, wie mir.
Vielleicht bleibe ich auch einfach weiterhin „nur“ treuer Leserin und Hobby-Autorin? Eins ist sicher: mein Leben wird es mir zeigen. Meine Trauer wird für Magie auf diesem Weg sorgen.