Verpasste Chance?
„Hey, habt ihr was bei UPS bestellt?“
Meine Trauer ist zu Hause und hütet meine Couch, während ich in der Arbeit bin. Mein Leben sitzt mir gegenüber und … ich weiß eigentlich gar nicht so genau, was mein Leben den ganzen Tag so tut, während ich arbeite. Es greift zum Handy um die Nachricht zu lesen, die ich gerade in unsere WhatsApp Gruppe geschickt habe.
„👎“ antwortet meine Trauer.
So eloquent sie in echt ist, so kurz angebunden ist sie in der digitalen Welt. Sie meint dazu immer: „Mich kann man so schlecht spielen.“ als wäre sie eine Hauptfigur in einem Film.
Mein Leben zögert verdächtig lange mit seiner Antwort. Es schaut aus dem Bürofenster, blickt kurz mich an, meine Kollegin, blinzelt auffällig und tippt.
Oben in der WhatsApp Gruppe erscheint der Text: mein Leben schreibt
Eine weitere E-Mail flattert in mein Postfach. Ein Kunde möchte den Text im Balken exakt zentriert haben. Ich stöhne innerlich und bearbeite die Datei. Erst nach einer Stunde und weitern Änderungen, checke ich wieder WhatsApp.
„Vielleicht.“ hat mein Leben geantwortet.
„Was denn?“ tippe ich schnell zurück, bevor weitere E-Mails reinkommen.
„Das wirst du dann schon sehen.“ antwortet mein Leben sofort.
„Aha“ antworte ich.
„Du weißt aber schon, dass meine Trauer nicht die Tür aufmachen kann.“ schieße ich noch schnell hinterher.
„DU musst die Tür aufmachen.“
„Ich sitze aber hier und UPS schreibt Lieferfenster 11:30-15:30 Uhr – Annahme nur mit Unterschrift.“
„🤷🏻♀️“ antwortet mein Leben.
Geneigtheit kriecht unter meine Haut. Ich stehe von meinem Bürotisch auf und schnappe mir eine Zigarette. Mein Leben folgt mir stumm zum Aufzug. In der Arbeit ist mein Leben immer ungewohnt still, erst beim Rauchen taut es wieder auf.
„Also?“ Ich nehme einen tiefen Zug aus meiner Zigarette.
„Ich…, also…, ich habe etwas bestellt…“ mein Leben macht eine Pause und wippt mit den Fersen auf und ab.
„Schon klar – die Frage ist was?“ Frage ich ungeduldig.
In diesem Moment kommt ein sehr gut aussehender Mann zur Eingangstür. Groß, breite Schultern, zerzauste blonde Haare zum Zopf gebunden – mehr so Surfer meets Corporate. Als er mich da mit meinem bunt gekleideten Leben stehen seht, zögert er kurz, sieht auf den Boden, seiht mich an und sagt dann: „Hi!“
Ich antworte: „Hi“ und schaue ebenfalls auf den Boden. Die pinke Socken meines Lebens verteilen Glitzer vor dem Bürogebäude und die aufgedruckten Einhörner grinsen mir fröhlich zu. Wo hat mein Leben immer diese Sachen her?
Mr. Hottie McPretty verschwindet im Bürogebäude.
Mein Leben sieht mich bedeutungsvoll an und wackelt noch bedeutungsvoller mit den Augenbrauen.
„Was?“ frage ich es ungeduldig, weil meine Raucherpause sich dem Ende zu neigt.
„Amore.“ flüstert mein Leben mir leise zu.
„Nein!“ flüstere ich zurück. Ein paar gut gekleidete ältere Damen mit flotten Kurzhaarschnitten kommen uns auf dem Weg zum Aufzug entgegen.
„Lass doch die Trauer das Paket annehmen.“ Mein Leben mustert sich im Spiegel des Aufzugs, der uns wieder ins Büro bringt.
„Du kennst wohl die Gesetze der Trauer nicht?“
„Bitte?“ Mein Leben zieht sich die Ärmel ihres gelb geblümten Hemdes runter und sieht mich überrascht an.
„Das Trauer ABC besagt: Z, wie zu viel Angst.“
Wir biegen um die Ecke, und gehen wieder zu meinem Arbeitsplatz. Meine Kollegin teilt mir mit, dass Kunde x nun doch wieder alles ganz anders möchte. Freudig mache ich mich an die Arbeit, froh dem Thema „Amore“ entkommen zu sein.
„Ich frage meine Nachbarin ob sie das Paket annehmen kann.“ tippe ich noch schnell in die WhatsApp Gruppe.
Die folgenden E-Mails finde ich zum Feierabend in meinem privaten Postfach:
Entschuldigung, dass wir Sie verpasst haben.
Aus der U-Bahn schreibe ich meiner Trauer:
„Warum hast du UPS nicht die Tür aufgemacht?“
„Das musst du machen!“ textet meine Trauer zurück.
“So wie du mir damals die Tür aufgemacht hat.”
Not in a Million years, denke ich.