Mein Leben schaukelt in einer Hängematte vor sich hin. Es macht mich wahnsinnig.
Mein Leben hat sich eine Hängematte in mein Wohnzimmer gehängt. Ich wollte es noch darauf aufmerksam machen, dass mein Vermieter bestimmt etwas dagegen hätte, wenn es so tiefe Löcher bohrt, aber es hat nur mit den Schultern gezuckt und sich mit einem tiefen Stöhnen niedergelegt.
Jetzt schaukelt es das so vor sich hin und lächelt dabei selig. Mein Leben sieht so normal aus. Das Schaukeln verläuft in ruhigen Bahnen. Mein Leben weiß genau, wo und wann es unter der Woche zu sein hat, was es dort zu tun gibt und wer dort sein wird. Es weiß genau, dass am Montag Abend Bootcamp ist und dass es wichtig ist für mich dort auszupowern.
Alles ist so ruhig, routiniert und rund geworden.
Sehe ich da etwa einen kleinen Bauchansatz unter dem grasgrünen T-Shirt hervorragen?
Es macht mich wahnsinnig.
Ich kenne mein Leben so nicht. Bevor es bei mir eingezogen ist, wusste ich nicht mal, dass ich eins habe. Bei mir muss anscheinend immer sich erst etwas zu mir Zugang verschaffen – mit der Holzhammer Methode, oder in diesem Falle mit einem plötzlichen Einzug, dass ich erst checke, das es überhaupt existiert.
Mein Leben war bis jetzt nämlich so: unstet, von anderen geschaffen und vor allem geprägt von dem Gefühl der extremen:
Von der Tochter mit Mutter zur Tochter ohne Mutter.
Von der Partnerin zur Single Frau.
Von der absoluten Freiheit zurück in die Arbeit.
Ich kenne keine Balance.
Ich habe seit dem Tod meiner Mutter in Extremen gelebt und jetzt diese Stabilität mit einem festen Einkommen, einer Routine zu haben fühlt sich so… ja wie eigentlich an? Wie eine Pause. Erleichternd. Entspannt.
Und genau das macht mir einen heiden Angst. Weil ich es so nicht kenne.
„Hast du schon mit deinem Leben geredet?“
Fragt mich meine Trauer und reißt mich so aus meinen skeptischen Gedanken.
Wir beide sitzen auf meiner Couch und beobachten das ruhige Geschaukle meines Lebens. Als Antwort schüttele ich nur mit dem Kopf.
„no Time Like the present.“
Leider klingt das Englisch meiner Trauer eher so: no taim laik se präzend. Ich glaube ich muss mal wieder mehr englisch reden, damit meine Trauer da ein bisschen fitter wird.
„Aua!“ Meine Trauer stupst mich nochmal heftig in die Seite. Also stehe ich langsam auf und stelle mich vor mein Leben.
Es hat die Augen geschlossen. Ich sehe nur, wie sich seine Finger bewegen, so als würde es auf einer Tastatur schreiben.
„Hrm“ räuspere ich mich.
Ein Augen geht auf, ein sanftes Lächeln überzieht das Gesicht meines Lebens.
„Wir müssen reden.“ sage ich.
Das andere Auge geht auf und das Lächeln vertieft sich.
Waren die Augen meines Lebens immer schon so blau? So blau wie die Augen meiner Mutter? Wasser schwimmt in meinen Augen und die rote Hose, das grasgrüne T-Shirt und die orangenen Socken meines Lebens verschwimmen vor meinen Augen.
Wie ich meine Mutter vermisse, denke ich.
Und wie sehr bin ich ihr dankbar für dieses bunte Leben, was so lange schwarz getragen hat.
Tränen kullern mir die Wangen runter. Ich will meinem Leben erzählen, wie lieb ich es habe und wie sehr ich mich freue, dass es endlich Ruhe gefunden hat und welche tief sitzende Angst ich in mir trage es wieder zu verlieren, dass Tod, Verlust, Männer oder Geld (meine alten Fallen) es wieder auf den Kopf stellen würden. Ich wusste gar nicht, dass meine Verlustangst so groß ist. Sie fühlt sich an wie eine Wunde, die nur hastig von Sanitätern zu getackert wurde und seitdem in meinem Herzen lebt und jetzt wieder aufbricht. Das Blut, das fließt, sind meine Tränen.
Mein Leben steht auf, sieht mich mit einem Blick voller Liebe an und so als wäre ich das größte Geschenk, das es je bekommen hat, und drückt mich fest und sanft und liebevoll an mich.
„Ich bleibe.“
Zwei Wörter, die noch nie jemand mir gesagt hat.
Zwei Wörter, die meine Wunde im Herzen leuchten lassen.
Zwei Wörter, die direkt in mein Herz gehen, um dort
Zu
Bleiben.