Vielleicht sind meine Erwartungen an mein Leben einfach zu hoch?
“Liebes Leben…”
Ich kaue an meinem geliebten Kugelschreiber und blicke aus meinen bodentiefen Fenstern hinaus in die grünen Blätterwand. Jetzt im Sommer verschont sie meinen Blick auf den gegenüberliegenden Krankenhaus Parkplatz. Ich habe nicht den Mut mit meinem von Angesicht zu Angesicht zu sprechen und dachte mir, ich als “Autorin” schreibe ihm einfach einen Brief. Kann es ja dann lesen und damit machen was es will. Die sanfte Brise, die an diesem Sommertag durch meinen geöffneten Balkonfenster weht, lässt die Papierbahne mit dem Wort “Wohnung” bedrohlich flackern. Ich habe diese, wie einen Vorhang, schon so oft hin-und her gezogen, dass sie schon ganz zerknüllt ist.
“Ich weiß, ich weiß…” Antworte ich dem Geflattere. Eine neue Wohnung muss her. Die alte, ja die alte… Schon sticht es wieder in meinen Augen, eine Träne verwischt das Wort “Leben” auf meinem Blatt.
Also neues Blatt, nochmal neu anfangen.
Immer wieder: neu anfangen.
“Liebes Leben,
what the actual fuck? Was willst du eigentlich von mir?
Ich habe das Gefühl, dass du mit Vollgas fährst und mein Körper und meine Seele und mein Geist kommen gar nicht mehr hinterher.
Vorbei sind die Tage, an denen ich Zeit hatte. Zeit einfach nur um zu sein, zu atmen. Ich habe das Gefühl in einer Waschmaschine zu stecken, die schleudert und schleudert. Das Wasser dafür kommt aus den vielen Tränen, die ich weine.
Ich hätte nicht gedacht, dass sich die Veränderungen in meinem Leben so schwer anfühlen würden.
Ich hatte gedacht, dass die Leichtigkeit endlich einzieht bei mir. Wieso kommt sie nicht? Wieso finde ich am Ende des Regenbogens keinen Goldtopf? Keinen Partner?
Ich verändere mich so schnell und ich habe keine Ahnung, wer ich werde? Die alte Irene, die die so große Erwartungen in ihr Buch hatte (Spiegel Besteller, Millionären – ich weiß, ich weiß) gibt es nicht mehr, anstatt dessen habe ich jetzt das Gefühl zwei Leben zu haben. Ein Arbeitsleben und ein privat Leben. Wie wird das aussehen? Teilst du dich in zwei Hälften und ich muss die einen Hälfte in meinem Rucksack jeden Tag mit in die Arbeit nehmen? Puh, das wird mir zu schwer.”
Wieder halte ich inne, wieder kaue ich an meinem Kuli. Ich muss an meine letzte Therapie Stunde denken. Die Worte meiner Therapeutin hallen mir durch den Kopf: “Vielleicht sind deine Erwartungen einfach zu hoch? Wie soll ein Job, ein Mensch (Partner oder Freundin) alle deine Bedürfnisse abdecken?”
Tja, liebe Therapeutin, denke ich, ich hasse es, wenn du Recht hast. Das ist wirklich viel verlangt, das würde ich auch selber gar nicht können und auch nicht wollen.
Vielleicht…
Ja…
Vielleicht…
Sind meine Erwartungen an mein Leben einfach zu hoch?
Vielleicht…
Ja…
Vielleicht…
Sollte ich mich mit dem, was ich habe zufrieden geben?
Vielleicht…
Ja…
Vielleicht…
Ist zufrieden das neue glücklich?
Glück ist so flüchtig, ein unbeständiger Gefährte, der kommt und geht, wie es ihm gerade passt und nicht wie ich es möchte. Glück zu halten ist schier unmöglich.
Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich, wie an so vielem in meinem Leben, an meinem Glück hart arbeiten muss. Es aktiv suchen, um es dann doch wieder zu verlieren.
“Was machst du da?” Meine Trauer lässt sich neben mich auf die Couch plumpsen. Schnell schiebe ich meinen Brief ans Leben unter ein Sofakissen. “Denkst du lieber wieder zehnmal über alles nach?” Meine Trauer kennt mich einfach zu gut. Ich seufze und nehme meine Trauer in den Arm: “Du bleibst bei mir – oder?”
Meine Trauer drückt mich fest zurück: “Na klar, wir sind doch jetzt Freunde – Freunde fürs Leben.” Da ich meiner Trauer das Gedanken lesen strengsten verboten habe, denke ich: manchmal wünschte ich es wäre nicht so.