„Ich bin jetzt Lebensmillionärin!“
Ich komme am Ende meiner ersten Arbeitswoche nach Hause und bin völlig fertig. So viel neues!
Ein neuer Rythmus.
Ein neuer Job.
Neue Aufgaben.
Neuer Weg in die Arbeit.
Neue Menschen um mich rum.
Neu, neu, neu.
Ich hatte mir solche Sorgen um alles mögliche im Vorfeld meines neuen Jobs gemacht, nur daran, was für eine Umstellung es werden wird, daran hatte ich keinerlei Gedanken verschwendet.
“Ich bin wieder da!” Rufe ich in die Wohnung und eile schnell auf die Toilette. Auch meinem Magen macht die Umstellung zu schaffen und ich habe Durchfall.
Als ich mich müde auf die Couch fallen lassen, materialisiert sich meine Trauer neben mir. “Herzlichen Glückwunsch! Ich bin so stolz auf dich!” Sie nimmt mich fest in den Arm und zusammen lassen wir es regnen. Meine Tränen gelten der Erleichterung meinem Ziel der finanziellen Unabhängigkeit einem Stück näher gekommen zu sein durch den neuen Job, einer irren Erleichterung, dass ich mich nicht mehr bewerben muss und einfach weil ich völlig übernächtigt bin.
Ein Jetlag von dem Sprung von einem Kapitel in meinem Leben ins nächste.
“Deine Mama sagt sie ist auch stolz auf dich. Sie freut sich so für dich.” Flüstert meine Trauer in meine Haare, die bestimmt noch nach Büro, U-Bahn und Rauch riechen.
“Meine Mama?” Frage ich ungläubig nach. “Aber… woher? Seit wann…?”
“Du wolltest doch schon lange wissen, wer meine Quelle ist, von der ich meine “Anweisungen” bekomme.” Sanft wischt meine Trauer mir die Tränen mit dem Zipfel ihres dunkelblauen T-Shirts vom Gesicht. Ich nicke. “Jetzt weißt du es.”
“Aber, wie geht das?”
“Magie, Irene. Magie!”
“Ach ja stimmt. Ich vergass.” Schon beim Einzug meiner Trauer hatte sie mir versprochen, dass wir gemeinsam die Magie des Lebens wieder finden würde, dass ich erstmal alleine in einer Zeitreise in meinem ersten und unvergesslichen Bali Urlaub landen würde, konnten weder meine Trauer und ich vorhersehen. Und dass mein Leben ein paar Monate danach bei mir einziehen würde, schon erst Recht nicht.
“Weißt du, ich wünschte, mein Vater würde auch mal sowas zu mir sagen.” Ich denke zurück an das letzte Mittagessen mit meinem Vater. Seine Worte Du bist zu alt, du hast den Anschluss an die Arbeitswelt und du warst zu faul die letzten Jahren wabern nur noch lose durch mein Gedächtnis. Zurück bleibt ein Schmerz, der so uralt ist, dass ich ihn wie einen Stein in meinem Magen fühle. Der Schmerz nicht so geliebt zu werden, wie “es eigentlich sein sollte” – bedingungslos. Ohne dass ich mich auf irgendeine Art und Weise vor meinem Vater beweisen muss, mich anpassen muss und/oder das Gefühl habe noch “mehr” geben zu müssen. Mein immerwährender Kampf um seine Liebe.
Erneut steigen Tränen in meine Augen.
“Was ist denn hier los?” Mein Leben steht plötzlich vor der Couch auf der meine Trauer und ich sitzen. Durch meine vom Weinen verquollenen Augen erkenne ich ein gelbes Paket in den Händen meines Lebens.
“Was ist das?” Frage ich schniefend.
“Eine Überraschung von…” Mein Leben kneift die Augen zusammen und liest die Absender Adresse vor: “Vera. Ich dachte ich helfe dir diese Woche und war für dich auf der Post und habe das Paket abgeholt.”
Freude schwappt in mein Herz, das so eben noch restlos mit dem grasgrünen Schmerz um die fehlenden Liebe meines Vaters gefüllt war. Rosa farbene Freude, die meine Herz jetzt restlos auffüllt. Ich springe auf und reiße meinem Leben das Paket aus der Hand. “Gib her.” Schnell reiße ich die gelbe Box auf und blicke staunend auf den Inhalt: ein Buch in englisch über Liebe, genauso wie ich es immer lese, ein Tee für den Feierabend und eine goldene Daruma (ein japanischer Glücksbringer).
“Wieso kennt sie mich so gut?” Heule ich auf. “Das bin genau ich. Alles was mir am Herzen liegt und mir wichtig ist in einer Box. Verrückt!” In mir spüre ich eine Stimme die mir sagt, dass ich das nicht verdient habe, dass es “doch keine große Sache war den neuen Job anzufangen” dass “ich mich nicht so anstellen soll” Ich schüttele mich und sage mir in Gedanken “Stop! Ich hatte genug Menschen in meinem Leben, die mir meine Gefühle abgesprochen haben. Ich darf mich genauso fühlen, wie ich mich gerade fühle und sei es einfach nur stolz auf mich selber und hundemüde und dankbar. Vor allem dankbar! Für diese Chance neu im Leben anfangen zu dürfen, für das Gefühl auf dem Weg zu sein, auf meinen eigenen Füßen zu stehen und von niemanden abhängig zu sein.
Ich will Vera eine Sprachnachricht schicken, um mich bei ihr zu bedanken und halte inne. Ich betrachte mein Leben, wie es da so vor mir steht mit seinem grasgrünen T-Shirt und den knall pinken Shorts, mich freundlich anlächelnd, immer nur das im Sinne für mich, was jetzt eben gerade ansteht. Spontan falle ich meinem Leben um den Hals: “Danke dir!” Ich schmatze ihr einen feuchten Kuß auf die Wange:
“Ich bin jetzt Lebensmillionärin!”
“Ach du.” Die Wangen meines Lebens bekommen rosa Flecken, die sich mit seinem restlichen Outfit stechen. Verlegen schlägt mein Leben die Augen zu Boden und mustert die Reste von meinem Frühstück to-go.
Ich sprinte ins Wohnzimmer und reiße die Papierfahne mit dem Wort “Job” vom Fenster: “Der Job is in the books!” Ich ziele auf meinen Papierkorb und der zusammengeknüllte Ball landet dort mit einem “Umpf”.