Ich telefoniere mit meiner Trauer

Sie klingt glücklich. Im Hintergrund rauscht das Meer. 
„Wo bist du gerade?“ frage ich sie. Seit ich von Bali zurück gekommen bin, haben wir nicht mehr täglich Kontakt. 
„Am Meer, Irene. Hörst du das nicht?“ ich vermute, dass sie den Hörer in die Brandung hält, denn das Rauschen wird noch lauter. 

„Wie fühlst du dich?“ jetzt höre ich wieder die klare und vertraute Stimme meiner Trauer. „Einsam. Meine Wohnung ist so leer ohne dich…“
„Hmmm.“ antwortet meine Trauer voller Mitgefühl. 
Eine Pause entsteht. Im Hintergrund öffnet und schließt sich eine Tür. Etwas poltert, ich stelle mir vor, dass meine Trauer ihre FlipFlops von den Füßen kickt. Vor mich hinlächelnd, denke ich, dass ich dieses Chaos vermisse.

„Bist du eigentlich alleine unterwegs?“ frage ich ein wenig eifersüchtig. 
„Ne. Wir sind eine ganze Gruppe: Angst, Schock, Hilflosigkeit, Betäubung, Wut, Sehnsucht, Kummer, Schuldgefühl, Verzweiflung, Aggression, Freude, Zorn, Befreiung, Gleichgültigkeit, Selbstmitleid, Einsamkeit, Hass, Liebe, Leere, Dankbarkeit und Schmerz. Wir haben eine ganzes Haus zusammen gemietet -mit eigenem Pool.“ 
„Ah, toll.“ antworte ich lahm. 
„Ich weiß. Ich fühle mich hier sehr wohl. Ich habe meine Community gefunden.
Wie sieht es denn damit bei dir aus?“ 
„Weiß nicht.“ ich zucke mit den Schultern.

„Du kannst nicht den Rest deines Lebens nur mit mir verbringen, das weißt du – oder?“ „Ja klar. Und gleichzeitig ist es noch gar nicht so lange her, dass wir uns verabschiedet haben. Und unser Buch schreib ich auch noch.“ 
Wieder öffnet sich eine Tür im Hintergrund und plötzlich ist eine andere Stimme am Telefon: „Hey Irene, dein Leben hier. Vergiss mich nicht.“ Wieder Stimmengewirr, wieder meine Trauer am Telefon: 
„Sorry. Dem Leben scheint unsere Reise zu Kopf gestiegen zu sein. Es denkt, er ist der Chef hier, weil es das Haus und die ganze Reise organisiert hat.“ 

„Verstehe. Aber das Leben hat Recht. Ich muß jetzt auflegen.“ Ich beende das Gespräch und schnappe mir meine Schuhe. Die Tür schon in der Hand, piepst nochmal mein Handy:“Viel Erfolg mit unserem Buch.“ Lächelnd verlasse ich meine Wohnung und gehe leben.

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