Der Beginn meiner Trauer

„Wo warst du denn die ganze Woche?“ frage ich meine Trauer als wir auf der Couch sitzen und einen Film gucken.
„Hier und da“ meine Trauer zuckt nur mit den Schultern. 
„Du fehlst mir, wenn du nicht da bist. Ich spüre so gar keine Verbindung mehr zu dir.“ 
„Hm.“ macht meine Trauer nur. 

Während der Film weiter auf meinem Laptop flimmert, sieht mich meine Trauer immer wieder von der Seite an. Wenn ich sie dann ansehe, schaut sie immer weg. Seltsames Verhalten, denke ich und schiebe mir die letzten Popcorns in den Mund. Als der Abspann vom Film läuft, schließt meine Trauer den Laptop: „Sag mal, Irene…“ sie macht eine dramatische Pause in der sie mich herausfordernd ansieht „Wie hat das eigentlich mit uns angefangen ?“ 

„Dumme Frage, meine Mutter ist gestorben als ich 16 Jahre alt war.“ 
„Ja, aber DANACH hast du ja nicht getrauert, sondern hast mich 20 Jahre weggedrückt.“ schlaumeiert meine Trauer.
„Ich weiß.“ sage ich kleinlaut. „Es tut mir wirklich leid.“ Ich habe mich schon x-mal dafür bei meiner Trauer entschuldigt. 
„Na ja, und als du dann angefangen hast mich in dein Leben zu lassen, da waren wir doch zu dritt in unser Beziehung? Erinnerst Du dich nicht?“ 

Ich stehe schnell auf und bringe die Popcorn Schüssel in die Küche und beginne die Spülmaschine auszuräumen. Laut scheppernd schmeiße ich das Besteck in die Schublade und versuche meine Trauer so zu übertönen. 
Meine Trauer kommt in die Küche und gestikuliert mir, dass ich mal runter kommen soll. Ich halte inne: „Du willst, dass ich der Zuckerbäckerin* dankbar bin – richtig?“ 

„Ich will gar nichts“ antwortet meine Trauer „aber vielleicht hilft es DIR zurück zu gucken und zu verstehen, dass – du und ich – dank der Zuckerbäckerin uns gefunden haben. Ein meet-cute, at last.“ Meine Trauer schmunzelt über ihren Witz. 

Grummelnd setzte ich mich wieder auf meine Couch. Meine Trauer holt unser Buch und fängt mir an vorzulesen: „Du bist ein Geschenk für diese Welt…“ fängt das Kapitel an. Ich lehne mich tief in meine Kissen zurück und lausche meiner Trauer. (*bei „der Zuckerbäckerin“ handelt es sich um den fiktiven Namen eines Life Coaches)

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